Geballte Kompetenz für nachhaltige Produkte und Prozesse

Interview mit dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV

Womit beschäftigt sich das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV?

Andrea Büttner: Wir sind führend in der angewandten Forschung für die gesicherte Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln und für nachhaltige Verpackungssysteme. Klimawandel, knapper werdende Ressourcen und Anbauflächen bei gleichzeitig wachsender Weltbevölkerung sind große Herausforderungen, die eine neue, nachhaltige Wertschöpfung verlangen. Daran arbeiten unsere rund 300 Forschenden. Sie entwickeln wegweisende Produkte, Verfahren und Technologien in den Bereichen Lebensmittel, Verpackung, Produktwirkung, Verarbeitungsmaschinen sowie Recycling und Umwelt. Die Zukunft gemeinsam zu gestalten und als Impulsgeber für die Transformation hin zu einer resilienten und nachhaltigen Lebensmittel- und Verpackungswirtschaft zu wirken – das begeistert uns in unserer täglichen Forschungsarbeit. Darüber hinaus motiviert es uns, wenn wir unser Kow-how auch in anderen Branchen anwenden können.

Wie der Kosmetikindustrie? 

Andrea Büttner: Ja, denn hier wächst die Nachfrage beim Konsumenten nach sicheren und nachhaltigen Produkten rasant. Grund hierfür ist unter anderem, dass Nachhaltigkeit oft mit einem hohen Wert in Verbindung gebracht wird. Was wiederum ein Wohlbefinden beim Verbraucher auslöst und sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Diese beiden Punkte zählen, neben Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft sowie Resilienz und Sicherheit, zu unseren strategischen Themenfeldern. Hier setzen wir zielgerichtet unsere Kompetenzen und Erfahrung aus mehr als 50 Jahren Verpackungs- und Lebensmittelwissenschaften ein, um biobasierte und kreislauffähige Produkte sowie ressourcenschonende Prozesse zu entwickeln – auch für die Kosmetikbranche. 

… das heißt konkret?

Andrea Büttner: Die Kosmetikbranche setzt immer mehr auf natürliche Materialen und Recycling-Verpackungen. Doch Nachhaltigkeit ist mehr. Nachhaltigkeit spielt neben der Wahrnehmung auch in technologischen Prozessen wie der Reinigung und Hygiene eine wichtige Rolle. Unser Team, das sich aus unterschiedlichen Disziplinen zusammensetzt, hat das richtige Wissen und Experten mit komplementären Kompetenzen, um eine nachhaltige Produktentwicklung entlang der gesamten Prozesskette zu gestalten: Vom Rohstoff über die maschinellen Prozesse bis hin zum verpackten Produkt.

Wie ist der Aspekt des Wohlbefindens im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit zu verstehen? Warum ist es für den Verbraucher heutzutage so wichtig? 

Jessica Freiherr: Wir werden z. B. durch Naturkatastrophen immer wieder daran erinnert, dass jeder Einzelne etwas für den Erhalt unserer Umwelt tun muss. Wenn es um den Kauf nachhaltig erzeugter Produkte geht, erhoffen sich Verbraucher eine gewisse Naturverbundenheit und meiden Inhaltsstoffe und Verarbeitungsprozesse, die synthetisch und möglicherweise umwelt- und gesundheitsschädlich sind. Durch die Nutzung nachhaltiger Produkte fühlt man sich gut und akzeptiert ggf. auch einen höheren Preis. Eine Herausforderung für Unternehmen ist es, herauszufinden, welche Rohstoffe, Produkte oder Prozesse besonders nachhaltig sind bzw. vom Konsumenten als nachhaltig empfunden werden. Basierend auf diesen Kenntnissen können Firmen ihre Produktion umstellen.

Wenn die Unternehmen das wissen, was müssen sie anschließend beachten, um nachhaltigere Kosmetikprodukte herzustellen?

André Boye: Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist sehr vielschichtig und umfasst zahlreiche Bereiche, die oft nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Bereits die Reinigung der Produktionsanlagen ist hinsichtlich des Wasser- und Energieverbrauchs ein ressourcenintensiver Prozessschritt, da die bisherigen Systeme starr und die Prozesse am Worst-Case ausgelegt sind. Eine Lösung ist der Einsatz von adaptiven Reinigungssystemen. Das sind Systeme, die sich an die Reinigungsaufgabe, also die Geometrie der Anlagen und den Verschmutzungszustand anpassen, wodurch eine Halbierung der Reinigungszeiten realistisch ist. Unsere Verschmutzungssensorik für Tanks sagt mir zum Beispiel, wann mein Tank sauber ist und die Reinigung gestoppt werden kann. Prozessoptimierungen im Bereich der Reinigung helfen nicht nur der Umwelt, sondern bringen auch signifikante Einsparungen für die Hersteller mit sich – eine Win-Win-Situation.

Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass viele Hersteller vermehrt auf Naturkosmetik setzten. Welchen Herausforderungen stellen sich denn Firmen, die nachhaltige Kosmetik produzieren möchten? 

Arielle Springer: Der Begriff „Naturkosmetik“ ist nicht einheitlich definiert. Je nachdem, unter welchem zertifizierten Naturkosmetik-Label das Produkt vermarktet werden soll, sind viele Inhaltsstoffe nicht erlaubt, die in der konventionellen Kosmetik die Haltbarkeit verbessern. Gleichzeitig werden nachhaltige Verpackungen gefordert, die oft aber noch nicht den gleichen Produktschutz bieten. Bei der Rohstoff- und Produktherstellung sowie beim Transport sollen Wasser und COreduziert werden. Technische Hilfsstoffe für die Reinigung und Entkeimung der Anlagen sind begrenzt. All diese Faktoren können die Produktqualität negativ beeinflussen.

Welche Lösungen gibt es, um die Produktqualität trotzdem zu garantieren?

Arielle Springer: Wichtig ist das Zusammenspiel aus Bulk, Prozessführung, Verpackung und Lagerung. Wir am Fraunhofer IVV beschäftigen uns mit einer großen Bandbreite an Forschungsthemen: von der Optimierung von Kunststoffen, über die Nutzung neuer Kosmetik-Inhaltsstoffe, bis hin zur Untersuchung der Qualität und Haltbarkeit der Produkte und vieles mehr. 

Cornelia Stramm: Um das optimale Verpackungskonzept für ein Produkt zu finden, entwickeln wir maßgeschneiderte Verpackungen unter anderem auf Basis von Biopolymeren. Wir berücksichtigen dabei Transport- und Lagerbedingungen sowie spezielle Anforderungen an das Verpackungsmaterial, z. B. die Recyclingfähigkeit entsprechend dem neuen Verpackungsgesetz. Hinsichtlich der Verbesserung der Verpackungsqualität spielen die Charakterisierung und Bewertung von Verpackungsmaterialien sowie z. B. Materialprüfungen, Migrationsuntersuchungen und sensorische Untersuchungen eine entscheidende Rolle.

Arielle Springer: Durch diese Untersuchungen können wir auch die Produktsicherheit überprüfen und herausfinden, welche Menge an unerwünschten Substanzen von der Verpackung aufs Produkt übergeht und wie viel davon im Worst-Case-Fall vom Menschen aufgenommen werden kann. Daraus können wir ableiten, wie die Verpackungsmaterialien hinsichtlich des Recyclinganteils optimiert werden können.

Marek Hauptmann: Darüber hinaus werden Verpackungsmaterialien in den vielfältigen Verpackungsprozessen sowie in ihrem maschinellen Umfeld untersucht, um die Herstellbarkeit von Verpackungen sicherzustellen und um die Eigenschaften im Produktionsumfeld wie Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit und Ausbringung zu kennzeichnen sowie sichere Abläufe im Qualitätsmanagement zu verankern. Diese Gesamtleistung aus unterschiedlichen Kompetenzen aus unserem Institut ist einmalig. Wir leben tagtäglich den transdisziplinären Ansatz und vereinen die dafür geforderten Lösungskompetenzen alle unter einem Dach. 

Und wie steht es um den Produktinhalt selbst, wie kann dieser optimiert werden?

Arielle Springer: Um zum Beispiel eine Creme zu schützen und ihre Haltbarkeit zu verlängern, können wir die antioxidative Wirkung von pflanzlichen Rohstoffen nutzen. Wenn die Verpackung sauerstoffdurchlässig ist, können Fettsäuren und andere empfindliche Inhaltsstoffe oxidieren, wobei sie ihre Wirkung verlieren oder einen störenden ranzigen Geruch entwickeln. Lagern die Produkte bei Licht und Wärme, passieren diese Reaktionen schneller. Wir nutzen speziell angefertigte Messzellen mit Sauerstoffsensoren, um die Oxidationsstabilität von Kosmetikprodukten zu untersuchen. Dabei haben wir viele interessante Erkenntnisse gewonnen, wie sich verschiedene Emulsionsarten, Öle, Konservierungsstoffe und pflanzliche Extrakte auf die Haltbarkeit und die Bildung von ranzigen Fettoxidationsprodukten auswirken. Durch den gezielten Einsatz von Antioxidantien aus pflanzlichen Reststoffen kann eine durchlässigere Verpackung kompensiert und die Produktqualität erhalten werden.

Sandra Kiese: Außerdem bietet die Nutzung von Reststoffen aus der Lebensmittelproduktion und Agrarindustrie eine große Chance auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. In den Reststoffen sind oft wertvolle Inhaltsstoffe in hoher Konzentration enthalten, wie z.B. sekundäre Pflanzenstoffe. Um diese Stoffe aus den Nebenströmen der Verarbeitung und Produktion zu gewinnen, entwickeln wir effiziente und nachhaltige Extraktions-Methoden. Damit senken wir zum einen die Verschwendung von wertvollen Reststoffströmen und leisten so einen Beitrag zum Umweltschutz und zur Ressourceneffizienz. Zum anderen gelingt es, durch die Verwertbarkeit und Verarbeitung, neue und gleichzeitig nachhaltige Inhaltsstoffe für Kosmetik-Applikationen zu entwickeln. Die Vorteile liegen in der multifunktionellen Wirkung wie beispielsweise anti-oxidativ, anti-mikrobiell oder anti-aging. 

Auf der Verpackung können die Inhaltstoffe also zusätzlich marketingwirksam ausgelobt werden. Erhöht das die Verbraucherakzeptanz?

Jessica Freiherr: Gerade bei neuen Produktkonzepten ist die Verbraucherakzeptanz entscheidend. Der Verbraucher oder Konsument steht zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung eines neuen Kosmetikproduktes oder Inhaltsstoffes im Mittelpunkt. Wir unterstützen die komplette Produktentwicklungslinie mit Einblicken zur sensorischen Wahrnehmung, aber auch zur Akzeptanz von Produkten. 

Also wird dann bereits die Idee einer Neuentwicklung, beispielsweise die Verwendung von Nebenprodukten aus der Kaffeeproduktion für Kosmetika, beim Verbraucher hinsichtlich der Akzeptanz überprüft?

Jessica Freiherr: Ja genau. Sobald neue Produktkonzepte entwickelt werden, wird die sensorische Wahrnehmung der einzelnen Varianten überprüft und das Produkt Schritt für Schritt sensorisch optimiert. Um die Wahrnehmung des Produkts objektiv zu betrachten, stehen uns zahlreiche analytische Methoden zur Verfügung. Beispielsweise werden Fehlaromen identifiziert und Maßnahmen getroffen, um diese zu vermeiden. Am Ende des Produktentwicklungszyklus kann dann die Akzeptanz des fertigen Produktes in Konsumententests mit Hinblick auf die Verpackung und eventuelle Labels überprüft werden. So können wir Unternehmen von der Idee bis zum marktreifen Produkt dabei unterstützen, nachhaltige Produktkonzepte zu erstellen. 


Dipl.-Leb.Chem. Arielle Springer 
Ist Geschäftsfeldmanagerin im Bereich Verpackung am Fraunhofer IVV. Sie hat Lebensmittelchemie an der TU Dresden studiert und konnte Berufserfahrung als Produktentwicklerin eines Kosmetikunternehmens sammeln. Zusammen mit erfahrenen Expertinnen und Experten arbeitet sie abteilungsübergreifend daran, das Forschungsfeld Personal & Home Care stetig weiter zu entwickelt.

Prof. Dr. Andrea Büttner
Geschäftsführende Institutsleiterin

André Boye
Abteilungsleiter Cyberphysische Verarbeitungs- und Reinigungssysteme

Prof. Dr. Jessica Freiherr
Analytische Sensorik

Dr. Cornelia Stramm
Abteilungsleiterin Materialentwicklung

Sandra Kiese
Gruppenleiterin Verfahrensentwicklung Pflanzliche Rohstoffe

Prof. Dr.-Ing. habil. Marek Hauptmann
Abteilungsleiter Verpackungs- und Verarbeitungstechnologien

 

Kontakt

Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung

Giggenhauser Str. 35

85354 Freising

Deutschland

Tel.: +49 8161 491 470

Mobil:  +49 1716 411 383

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