Ein Quantensprung für empfindliche Haut: 3D-Bioprint-Gewebemodell könnte Entwicklung maßgeschneiderter kosmetischer Inhaltsstoffe vorantreiben

Interview mit Colin McGuckin, Geschäftsführer & Chief Scientific Officer bei CTIBIOTECH und Sébastien Cadau, Spezialist für Zellkultur und Tissue Engineering bei BASF
CTIBIOTECH, BASF Beauty Care Solutions

3D-Gewebemodelle sind ein hoch effektives Hilfsmittel, um Kosmetikprodukte für die Anwendung in der Hautpflege schnell und zuverlässig zu testen. CTIBIOTECH und BASF haben in den vergangenen Jahren gemeinsam bedeutende Fortschritte in diesem Bereich gemacht. Kürzlich haben die beiden Unternehmen ihr Know-how gebündelt, um ein Immun-Hautmodell mit menschlichen Makrophagen zu entwickeln. Dieses eignet sich für die Untersuchung von Medikamenten und kosmetischen Inhaltsstoffen für normale und entzündete Haut. Colin McGuckin, Geschäftsführer und Chief Scientific Officer bei CTIBIOTECH, und Sébastien Cadau, Spezialist für Zellkultur und Tissue Engineering bei BASF, gewähren Einblicke in ihre Forschungsergebnisse.

Sie haben das weltweit erste im 3D-Bioprint-Verfahren hergestellte Immun-Hautmodell in Originalgröße entwickelt, das menschliche Makrophagen enthält. Wie kam es dazu?

McGuckin: Die Haut ist unsere erste Verteidigungslinie gegen Bakterien und Viren, mit denen wir täglich in Berührung kommen. Ohne die Immunfunktion der Haut würden wir nicht sehr lange überleben. Das empfindliche Gleichgewicht der Haut kann jedoch leicht gestört werden und zu Hautreizungen wie atopischer Dermatitis und Akne führen. Wir glauben, dass hochentwickelte Modelle für das Testen und Screening neuartiger Chemikalien und Kosmetika erforderlich sind. Wir haben unser Modell entwickelt, um einen genaueren Einblick in die Art und Weise zu erhalten, wie Produkte auf der Haut reagieren. So können später Probleme bei der Anwendung an Menschen vermieden und neue Wege gefunden werden, zu einer Minderung von Reaktionen empfindlicher Haut beizutragen.

Wie funktioniert das Modell?

McGuckin: Wir haben ein Vollhautmodell entwickelt, dem wir eine Vielzahl menschlicher Makrophagen hinzugefügt haben – eine der wichtigsten infektionsabwehrenden Fresszellen in der Haut. Das Modell wurde aus zwei Gründen mithilfe von 3D-Biodruck hergestellt: erstens, um die Immunfunktion im Modell möglichst gleichmäßig zu verteilen und zweitens, um das Modell für die industrielle Nutzung vielfach reproduzierbar zu machen. Wir können mehr als 100 Modelle pro Stunde drucken. Das bietet Chemieunternehmen viele Möglichkeiten, ihre Produkte zu testen. Die Kombination aus fortschrittlicher Technik und Biomedizin ist die Zukunft!

Wie hilft Ihnen dieses Hautmodell, innovative Wirkstoffe zu entwickeln, die in Hautpflegeprodukten genutzt werden können?

Cadau: Das 3D-Modell bietet uns ein leistungsstarkes Instrument, mit dem wir die Funktion von Makrophagen in einer vollständig rekonstruierten Haut untersuchen können. Im Vergleich zu aktuellen in-vitro-Methoden ermöglicht es eine Analyse, die die menschliche Physiologie besser widerspiegelt. Makrophagen wird eine Schlüsselrolle bei der Immunfunktion der Haut zuteil. Das im Biodruck hergestellte Gewebe kann uns deshalb dabei helfen, effiziente Produkte zu entwickeln, die dazu beitragen, die Hautgesundheit zu fördern oder wiederherzustellen, indem sie den chronischen Entzündungskreislauf unterbrechen.

Unter Verbraucherinnen und Verbrauchern steigt die Nachfrage nach Inhaltsstoffen, die die Haut beruhigen. Sie suchen insbesondere nach Kosmetika, die Umweltfaktoren entgegenwirken – etwa stressigen urbanen Lebensbedingungen, Exposition gegenüber schädigenden Lichtarten oder extremen Temperaturen. Und sie wünschen sich dermokosmetische Produkte, die dabei helfen, reaktive und empfindliche Haut zu stärken.

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There is a growing consumer demand for soothing ingredients. In particular, people are looking for cosmetics that help face environmental factors such as stressful urban lifestyle, multilight exposure, or extreme temperatures, and for dermocosmetic applications that help to strengthen reactive and sensitive skin.

Welche Ergebnisse haben Sie bisher erzielt?

Cadau: Die Makrophagen in unseren Modellen erreichen einen geeigneten Reifegrad, was durch ihre spezifische Zytokin-Freisetzung während der Belastungsphasen in unseren Experimenten mit gutem Ansprechen auf Lipopolysaccharid und Dexamethason gezeigt wurde.

Darüber hinaus brachte die Zusammenführung von Biodruck-Technologie und moderner Partikel-Durchflusszytometrie besondere Vorteile bei Reproduzierbarkeit und Schnelligkeit der Tests.

Dank der Kombination dieser beiden Technologien ist es möglich, viele dieser Modelle in wenigen Stunden zu drucken, um sie in drei Wochen reifen zu lassen und anschließend analysieren zu können. Das lässt auf automatisierte Untersuchungen mit immunisierten Hautäquivalenten hoffen.

Das Modell ist auf großes Interesse in der Kosmetikindustrie gestoßen, als wir es 2020 in einem Vortrag auf dem IFSCC-Kongress präsentiert haben. Zudem haben wir den „Henry Maso Award“ für diese Veröffentlichung erhalten.

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Abb. 1 3D bioprinted skin models maturing in 12-well plates. © CTIBIOTECH

Wie geht es jetzt weiter?

McGuckin: Makrophagen weisen ein hohes Maß an Plastizität auf, wodurch Entzündungen gefördert oder unterdrückt werden, um die Homöostase der Haut aufrechtzuerhalten. Das im aktuellen Modell verwendete Protokoll ermöglicht dank der beobachteten funktionellen Makrophagen-Subpopulation „M1“ eine perfekte Beurteilung der ersten proinflammatorischen Phase. Außerdem wurde dieses Modell bereits weiterentwickelt, um die Phagozytose nach bakterieller Exposition zu messen, was zu vielversprechenden Ergebnissen geführt hat.

Das sind große Erfolge, aber wir wollen noch einen Schritt weiter gehen. Um die Regenerationsphase nach der Entzündung besser untersuchen zu können, arbeiten wir derzeit an Optimierungen des Protokolls, um die entzündungshemmende Immunreaktion der fragileren Makrophagen-Subpopulation „M2“ zu verbessern.

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BASF und CTIBIOTECH haben ihre Zusammenarbeit 2011 begonnen. An welchen anderen Projekten haben Sie gemeinsam gearbeitet?

Cadau: Wir haben erfolgreich ein von CTIBIOTECH entwickeltes 3D-Modell der menschlichen Talgdrüse verwendet, um physiologischen Talg ex vivo in einer Langzeitkultur herzustellen. So konnten wir die Funktion von Talgdrüsen im Zusammenhang mit einer Reihe von altersbedingten, mikrobiellen und entzündlichen Hauterkrankungen untersuchen. Diese Technologie hat maßgeblich zur Entwicklung unseres innovativen Wirkstoffs Bix’Activ® beigetragen. Er reduziert die Talgproduktion, indem er die Proliferation von Sebozyten in den Talgdrüsen hemmt. Ergebnisse wie diese zeigen das große Potenzial des 3D-Biodrucks für die Forschung und Entwicklung von Inhaltsstoffen für Kosmetika.

www.basf.com

www.carecreations.basf.com

www.ctibiotech.com


Sébastien Cadau
Spezialist für Zellkultur und Tissue Engineering 
BASF Beauty Care Solutions 

Sébastien Cadau hat einen Master-Abschluss in Biologie und einen Doktortitel in Entwicklung und Onkologie von der Universität Joseph Fournier (Grenoble, Frankreich). 

Nach einem Postdoc im Bereich Tissue Engineering zur Entwicklung eines innervierten und endothelialisierten Hautmodells am LOEX der Universität Laval (Quebec, Kanada) trat er in das Forschungsteam von BASF Beauty Care Solutions ein, um die Tissue-Engineering-Plattform zu leiten, das Hautmodell-Portfolio aufzubauen und die Wirksamkeit neuer kosmetischer Inhaltsstoffe zu bewerten.

Colin McGuckin
Geschäftsführer und & Chief Scientific Officer
CTIBIOTECH 

Colin McGuckin war der erste ordentliche Professor für regenerative Medizin im Vereinigten Königreich, bevor er CTIBIOTECH gründete, mit dem Ziel, nicht nur organbasierte Modelle für das Screening von Arzneimitteln und Wirksamkeitstests zu entwickeln, sondern auch Zell- und Organtherapien der Zukunft zu schaffen.

Von einem hämatologischen/onkologischen Hintergrund kommend, erweiterte sich seine Arbeit in den 1990er Jahren auf Stammzellen, und seine akademische Gruppe war weltweit die erste, die Nerven- und Lebergewebe aus adulten Stammzellen herstellte. Heute ist CTIBIOTECH führend auf dem Gebiet der 3D-Bioprinting-Modelle des menschlichen Körpers, mit großem Erfolg bei komplexen Haut-, Tumor- und Lebersystemen.

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