Weniger Stress und positives Lebensgefühl – Nachweis psychophysiologischer Wirkung von Active Ingredients in Kosmetikprodukten

Interview mit Jessica Freiherr, Doris Schicker and Arielle Springer,
Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV

Vor Kurzem habe ich Ihre Studie [1] gelesen. Da beschreiben Sie den beruhigenden Effekt einer Creme mit einem Active Ingredient. Also einfach eincremen, dann ist man nicht mehr gestresst?

Jessica Freiherr: Im Prinzip schon. Es ist natürlich weitaus komplizierter, aber grundsätzlich konnten wir zeigen, dass der Mensch nach der Anwendung der Creme weniger gestresst war, als nach der Anwendung eines Placebos. Das konnten wir mit physiologischen in Kombination mit psychologischen Methoden messen. Die aktuelle Situation hat uns dazu bewegt, diese Kompetenz auch auf andere Anwendungen und Auslobungen auszuweiten. Gerade fühlen sich viele Menschen aufgrund der politischen und pandemischen Situation hilflos und demotiviert. Die Nutzung eines erfrischenden Duschgels beispielsweise kann uns dann einen Motivationsschub am Morgen geben.

Tatsächlich, das habe ich auch schon mal auf einem Produkt gelesen. Mittlerweile werben zahlreiche Inverkehrbringer mit der erfrischenden, belebenden, beruhigenden oder entspannenden Wirkung. Funktioniert das wirklich?

Arielle Springer: Es ist rechtlich geregelt, dass Produktaussagen keine Wirkung vortäuschen dürfen, die das Produkt nicht hat, und die ausgelobten Wirkungen beweisbar sein müssen. Wenn die Claims also mit Wirknachweisen belegt wurden, kommt es natürlich noch auf die Durchführung der Studie an. Mithilfe eines validen Studiendesigns kann das verbesserte Wohlbefinden der Konsumenten klar auf das Produkt oder den speziellen Inhaltsstoff zurückgeführt werden.

Jessica Freiherr: Wichtig ist auch, was man unter einem verbesserten Wohlbefinden versteht. Schauen wir uns die Emotionswelt an, so lassen sich Emotionen in zwei Hauptdimensionen charakterisieren. Das ist zum einen die Dimension Valenz (angenehm/positiv – unangenehm/negativ) und weiterhin die Dimension Arousal (aufgeregt – ruhig). Innerhalb dieser beiden Dimensionen lassen sich zahlreichen Nuancen positionieren. Man kennt sowohl positive Aufregung (Freude) als auch negative Aufregung (Stress). Ebenso kennt der Mensch positive Ruhe (Entspannung) und negative Ruhe (Langeweile). Hersteller verschiedener kosmetischer Produkte verfolgen nun das Ziel, uns aus einem emotionalen Zustand in einen anderen zu versetzen.

Das ist spannend – wie genau kann man denn Emotionen mit einem Kosmetikprodukt beeinflussen? 

Jessica Freiherr: Emotionen können mithilfe verschiedener Methoden ausgelöst werden. Innerhalb unserer Forschung verfolgen wir einen multisensorischen Ansatz. Unsere Hauptexpertise liegt im Feld des Geruchssinnes, dementsprechend nutzen wir häufig verschiedene Gerüche, um Emotionen bei unseren Versuchspersonen auszulösen. Ein weiterer Anspruch innerhalb unserer Forschungsprojekte ist die möglichst holistische Abbildung unserer täglichen Umgebung. Dementsprechend kombinieren wir Geruchsreize sehr gern mit anderen sensorischen Reizen. Im Rahmen der Forschung an Kosmetikprodukten wäre hier eine Kombination mit taktilen, visuellen und akustischen Reizen möglich, also das Haut- bzw. Haargefühl, das Produktaussehen und die Geräusche von Haut und Haaren während oder nach der Anwendung des Produkts.

Wie kann man diese Emotionen am menschlichen Körper genau messen?

Jessica Freiherr: Wir können auf der einen Seite beruhigende Effekte von Kosmetikprodukten messen, in dem wir den Probanden mithilfe von emotionalen Bildern in einen Stress-Zustand versetzen und dann das jeweilige Produkt applizieren. Vor und nach Applikation wird dann der Stress-Zustand des Probanden mithilfe psychophysiologischer Tools gemessen. Diese Tools umfassen Emotionsfragebögen, Stresshormone im Speichel, EEG, aber auch biometrische Messungen der Herzfrequenz, Atmung oder Hautleitfähigkeit. 

Doris Schicker: Auf der anderen Seite sind neben Kosmetikprodukten mit stressreduzierender, beruhigender Wirkung auch Produkte interessant, welche einen belebenden Effekt haben. Diese können einerseits Langeweile reduzieren oder eben zu dem Motivationsschub am Morgen beitragen. Um solche Effekte zu testen, erzeugen wir beispielsweise bei unseren Probanden mithilfe eines sogenannten peg-turning tasks Langeweilegefühle, bevor wir das Produkt applizieren. Je nach gewünschter Wirkung der Produkte verwenden wir spezielle Methoden, um gezielt Emotionen zu induzieren. Diese messen wir dann mithilfe ausgewählter und gezielt kombinierter psychophysiologischer Tools. So wird ein auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden abgestimmtes Versuchsdesign möglich.

Angenommen, ich hätte einen neuen kosmetischen Rohstoff und möchte herausfinden, ob er motivierend und feuchtigkeitsspendend wirkt. Wie könnte dann ein gemeinsames Projekt aussehen?

Jessica Freiherr: Unsere Studiendesign schneidern wir gern passgenau auf die Bedarfe der Kunden zu. Wir hören uns genau an, welche Ziele der Kunde verfolgt und definieren die Fragestellung. Im zweiten Schritt finden wir passende wissenschaftliche Methoden, um die gewünschten Ziele zu erreichen. Eine motivierende Wirkung eines kosmetischen Rohstoffes könnte bspw. mithilfe unseres Langeweile-Versuchsdesigns untersucht werden. Die feuchtigkeitsspendende Wirkung eines Rohstoffes würden wir mit physikalischen Messungen,
z. B. Hautleitfähigkeit, abdecken.

Doris Schicker: Um eine valide und reliable Studie durchzuführen, ist es wichtig, auf verschiedene Parameter zu achten. Beispielsweise ist es notwendig, ein Produkt gegen ein Placebo-Produkt zu testen, um die Wirksamkeit nachweisen zu können. Außerdem achten wir auf ein randomisiertes Versuchsdesign und die Verblindung der Probanden, d.h. die Teilnehmer wissen nicht, ob sie das Placebo oder das potentiell aktive Produkt appliziert bekommen. Zudem liefern wir eine umfangreiche Datenauswertung, welche Einblicke in die Wirkung der Produkte bietet. Aufgrund der Wissenschaftlichkeit unserer Studien veröffentlichen wir die Ergebnisse unter Absprache mit den Kunden in begutachteten, öffentlich zugänglichen und anerkannten wissenschaftlichen Journalen sowie Branchenzeitschriften und Social Media. Somit ermöglichen wir eine umfangreiche Verwertungsstrategie: von Fachartikel über Marketing bis hin zum Networking. 

Das klingt nach einem großen Aufwand. Wie könnte denn die Finanzierung dafür aussehen?

Arielle Springer: Da gibt es mehrere Möglichkeiten. In einem bilateralen Projekt erstellen wir mit unseren Partnern zusammen ein individuelles Angebot, welches dann beauftragt wird. Eine Geheimhaltungsvereinbarung ist auch möglich. Der Partner erhält am Ende einen Bericht, über den er oder sie frei verfügen kann. Sind mehrere Unternehmen an einer gemeinsamen Forschung interessiert, können wir auch im Rahmen eines Konsortialprojekts zusammenarbeiten. Bei beiden Varianten können die Industriepartner die Forschung sowohl aus eigenen Mitteln oder auch im Rahmen einer eigenen Förderung finanzieren. 

Doris Schicker: Außerdem arbeiten wir auch an öffentlich finanzierten Projekten, bei denen Partner im projektbegleitenden Ausschuss teilnehmen können, meistens zu einem geringen Teilnahmebeitrag oder kostenlos. Dadurch erhält das Unternehmen Einblicke in die unveröffentlichten Ergebnisse und kann die Forschung nach dem Bedarf der Wirtschaft steuern.

Wenn wir den Forschungsauftrag einmal abgeschlossen haben, können wir das Ergebnis dann für alle Produkte übertragen, die den Rohstoff enthalten?

Arielle Springer: Grundsätzlich gelten die Ergebnisse aus dem Bericht und aus den Veröffentlichungen nur für die getesteten Proben. Aber wenn die Produkte ähnlich sind, können wir eine Übertragbarkeit prüfen oder ein Folgeprojekt anbieten. Man muss natürlich berücksichtigen, dass sich zum Beispiel Duschgel und Bodylotion stark in der Anwendung und in der Rezeptur unterscheiden. Daraus könnten Matrixeffekte entstehen, die die Freisetzung von aktiven Inhaltsstoffen beeinflussen. Das sind alles spannende Punkte, an denen wir in Zukunft gerne mehr forschen möchten.

Welche Forschungsarbeiten sind auf diesem Gebiet noch geplant?

Jessica Freiherr: Wir möchten einerseits unsere Methoden zur physiologischen Messung stetig verbessern und an bestehenden Problemen arbeiten. Beispielsweise möchten wir die Anzahl von Kabeln während der Messung physiologischer Parameter reduzieren, um das Wohlbefinden der Probanden weniger zu beeinflussen. Außerdem erweitern wir unser bestehendes Forschungsfeld auch auf die Anwendungen Wasch- und Reinigungsmittel, Raumdüfte, Automotive sowie Lebensmittel. Aktuell planen wir ein öffentliches Projekt zur Vorhersage der psychophysiologischen Wirkung von Duft und Hautgefühl von kosmetischen Formulierungen, für das wir noch Partner suchen.

Vielen Dank Ihnen dreien für das spannende Interview! Wie können sich unsere Leser bei Ihnen melden, wenn sie Fragen haben?

Arielle Springer: Am besten bei mir. Wir freuen uns immer über Fragen, Herausforderungen und spannende Projekte mit Partnern aus Forschung und Industrie. Sie finden hier meine Kontaktdaten: 

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Tel: +49 8161 491 470 oder Mobil: +49 1716 411 383

Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV
Giggenhauser Str. 35, 85354 Freising, Deutschland
https://www.ivv.fraunhofer.de/en/product-performance/personal-home-care.html

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Literatur:

[1] Springer, A.; Höckmeier, L.; Schicker, D.; Hettwer, S.; Freiherr, J. Measurement of Stress Relief during Scented Cosmetic Product Application Using a Mood Questionnaire, Stress Hormone Levels and Brain Activation. Cosmetics 2022, 9, 97.
https://doi.org/10.3390/cosmetics9050097


Jessica Freiherr 
Prof. Dr. Jessica Freiherr studierte Ernährungswissenschaft an der FSU Jena und promovierte im Studiengang Humanbiologie an der LMU München. Seit 2019 hat sie die Professur Neurowissenschaft der sensorischen Wahrnehmung an der FAU Erlangen-Nürnberg. Am Fraunhofer IVV ist sie Expertin für multisensorische Wahrnehmung im Rahmen der Produktwirkung.

Doris Schicker
M.Ed. Doris Schicker studierte naturwissenschaftliche Bildung an der TU München. Nun promoviert sie in den Neurowissenschaften am Fraunhofer IVV zu Einflüssen auf die menschliche Geruchswahrnehmung. Gleichzeitig arbeitet sie als Senior Scientist am Fraunhofer IVV, um multisensorische Aspekte der Produktwahrnehmung mit datenwissenschaftlichen Methoden weiter zu erforschen. 

Arielle Springer
Dipl.-Leb.Chem. Arielle Springer studierte Lebensmittelchemie an der TU Dresden und sammelte Berufserfahrung als Produktentwicklerin in der Kosmetikindustrie. Gemeinsam mit erfahrenen Experten arbeitet sie derzeit als Business Development Managerin und Wissenschaftlerin abteilungsübergreifend an der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Forschungsbereichs Personal & Home Care am Fraunhofer IVV.

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